Anderthalb Tage nahmen sich der evangelischen Kirche verbundene Haupt- und Ehrenamtliche Zeit, um darüber zu reden, was sie sich für die Zukunft in ihrem Engagement wünschen. Nicht um konkrete Maßnahmen und Beschlüsse, sondern das Öffnen von Horizonten, ging es an dem Wochenende in der Evangelischen Akademie.
„Mal über den Tellerrand zu schauen“, beispielsweise mit Diakoniepfarrer und Fachbereicheleiter Markus Eisele über die Zukunft der Kirche zu debattieren, hat Arne Knudt gefallen. Er war einer der 80 Teilnehmer:innen der Open Space Veranstaltung „Zeit für Zukunft – Gemeinsam die Kirche von morgen gestalten“ in der Evangelischen Akademie Frankfurt, zu der das Evangelische Stadtdekanat Frankfurt und Offenbach eingeladen hatte. Um freien Gedankenaustausch solle es während der anderthalb Tage gehen, sagte Stadtdekan Achim Knecht im Vorfeld des Treffens, und nicht um Konkretes hinsichtlich des Prozesses EKHN2030, den die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau angestoßen hat und bei dem Einsparungen und Kooperationen zwischen Gemeinden zentral sind. Ein positiver Corona-Test hinderte ihn am Wochenende an der Teilnahme. Die auf Stellwänden, Zetteln und Fotos festgehaltenen Diskussionsergebnisse der vielfach wechselnd besetzten Runden werde der Dekanatssynodalvorstand sorgsam prüfen, für die Umsetzung würden Ressourcen zur Verfügung gestellt, sicherte Prodekan Holger Kamlah zu, der Knecht vertrat. Er äußerte in der Abschlussrunde, „wir haben verstanden, dass wir noch mehr rausgehen und uns vernetzen müssen“. Umzusetzen sei verstärkt, „die Vielfalt dieser Stadt anzuerkennen“. Auch andere ringen mit den hergebrachten Strukturen Die Zahl der Ehrenamtlichen überwog am Wochenende geringfügig die der Hauptamtlichen unter den Teilnehmer:innen des offenen Denk- und Debattierraums. Der Anteil der unter und der über 60-Jährigen hielt sich ungefähr die Waage. Dass bei der Frage, „Und wer ist unter 30?“ am Auftaktabend nur vier Finger nach oben gingen, hat Anna, 17, Teamerin im Planungsbezirk Höchst, Unterliederbach, Zeilsheim geärgert: „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich noch mehr angesprochen“. 50 bis 55 unter 30-Jährige engagierten sich im Westen der Stadt in der evangelischen Kinder- und Jugendarbeit, erzählt sie. Thorsten, 26, der es wie Anna beim Vornamen belässt, berichtet, die einen organisierten mal ein Wochenende, andere regelmäßige Gruppen. „Wegen der Menschen bin ich dabei“, sagt er, „Gemeinschaft ist für mich Kirche“. „Du kannst raus aus dem Streben nach Leistung und Erfolg und den Erwartungen“, motiviert ihn, sich in der Gemeinde zu engagieren. „Du kannst einfach so sein“, fügt Anna hinzu. Wie die beiden Jugendlichen oder jungen Erwachsenen zählt Arne Knudt zum Kreis der Ehrenamtlichen. Seine Basis ist die Evangelische Kirchengemeinde Frieden und Versöhnung im Gallus. Ihm gefällt, dass bei dieser sehr lebendigen Gemeinde auch Menschen aus anderen Stadtteilen oder Frankfurter Vororten andocken, weil sie sich hier heimisch fühlen. Wie so oft kommt bei Knudt ein Ehrenamt nicht allein. Neben dem Vorsitz im Kirchenvorstand, hat er auch Ämter bei der SPD inne, der 54-Jährige ist stellvertretender Vorsitzender der Sozialdemokraten im Gallus. „Wir haben da die gleichen Probleme, auch hier kommen die Organisationsstrukturen aus dem vergangenen Jahrhundert.“ Und nicht nur die internen Regeln machten das Parteileben behäbig: Früher kannte der Schulleiter den Sparkassenfilialleiter, die Menschen wohnten langfristig vor Ort, die Zahl der Vereinsmitgliedschaften summierte sich zwischen „Karneval und Sport“, die Drähte waren kurz, „das haben wir heute nicht mehr“, sagt Knudt. Ihm haben die anderthalb Tage Spaß und Mut gemacht – der Austausch auf kurzem Weg. Vieles wurde in der Schlussrunde an Hoffnungen und Ideen auf Stellenwänden formuliert: Ein Segensbüro zum Beispiel, ansprechbar bei Trauer, Trennungen, aber auch bei freudigen Lebenszäsuren, wie es in Berlin schon existiert, brachte eine Pfarrerin im Plenum ins Spiel. „Kirchen als kommerzfreie Orte der Spiritualität“ zu profilieren wurde von einer Klinikseelsorgerin und einer Pfarrerin auf einem Plakat festgehalten. Für die einen neu, für andere längst Routine Unter dem Stichwort „Zeitgeist“ und „Digitales“ vermerkten auf einer Stellwand eine kirchlich engagierte Professorin für Raumplanung und ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Theologischen Fakultät der Goethe-Universität: „Digital – muss persönlich und authentisch sein“, mit Edding darunter vermerkt: „nicht anbiedern!“. Sowohl digitale als auch physische Räume bräuchten Qualität formulierten sie mit ihren Mitdiskutierenden. Als eine Idee stand auf dieser Stellwand: „Frankfurter Kirchenbank – Im Sinne einer Smart Bench“. Zu Digitalem gab es am Auftaktabend einen Impulsvortrag von Anne Schwarz, Leiterin der Stabsstelle Digitalisierung in Offenbach, sie ermutigte, Kirche solle sich bei der Entwicklung von Smart Cities für die Bedürfnisse von Randgruppen einsetzen. Andere Referierende setzten Impulse zu Themen wie Zusammengehen von Gemeinden und neue Gottesdienstformen. Die Reaktionen waren unterschiedlich: Was bei einem Achselzucken auslöste, „das machen wir schon längst“, motivierte eine andere Kirchenvorsteherin: „Da hin soll es gehen, das hat mich sehr angeregt.“ In den Gesprächen am Rande wurde klar, auch bei solchen Impulsvorträgen hört jede und jeder etwas anderes. Und genau darum ging es während der anderthalb Tage: Zu hören, zu reden aus ganz unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven über die Kirche der Zukunft.
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