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20. Okt 23 I Geschlechtliche Vielfalt Thema bei Frankfurter Stadtvervsammlung



Carl-Michael Mousavi Malvani und Prof. Dr. Ansgar Wucherpfennig (von links) sprachen als Experten bei der Stadtversammlung der Frankfurter Katholik:innen. Foto: Anne Zegelman

Die Katholische Kirche muss sich verändern im Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt – und die ersten Schritte dazu können nur in den Pfarreien gegangen werden. Das wurde am Donnerstagabend bei der Sitzung der Stadtversammlung der Frankfurter Katholik:innen deutlich, zu der Gewählte und Öffentlichkeit ins Gemeindezentrum von St. Josef auf der Bergerstraße eingeladen waren. Dort stand das Thema im Mittelpunkt, es gab Information und viel Raum für Diskussion.

Stefan Diefenbach, Geschäftsführer des Weltladens nebenan und selbst mit einem Mann verheiratet, forderte: „Gemeinden müssen sich fragen, wie sie sich so verändern können, dass ein Platz entsteht, in dem ein queerer Mensch sich angstfrei äußern und er oder sie selbst sein kann.“ Das unterstrich auch Bezirksreferent Michael Thurn: „Leider gibt es in den Gemeinden und auch in der Gesellschaft viel Homophobie. Das Thema muss im Vatikan bearbeitet werden, natürlich, aber wir hier müssen schon auch schauen, was denen passiert, die direkt neben mir sitzen.“ Die Kirche in Deutschland ist bereits auf dem Weg hin zu mehr Offenheit. Bei der fünften Vollversammlung des Synodalen Weges war mit großer Mehrheit ein Handlungstext über den Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt verabschiedet worden.

Um nun hinzuschauen, was vor Ort schon passiert und noch getan werden muss, hatte die Stadtversammlung das Thema auf ihre Agenda gesetzt und zwei Experten eingeladen, um sich einen Abend lang mit Begrifflichkeiten, biblischen Sichtweisen und den Fragen drumherum auseinanderzusetzen. „Es ist ein Thema, von dem ich glaube, dass es in die Gemeinden vor Ort getragen werden muss. Wir als Vorstand halten den Zeitpunkt nun für gekommen, dafür Sorge zu tragen, dass schwule und lesbische, trans- und intergeschlechtliche Menschen ganz angenommen werden, ohne Anfeindung und ohne Diskriminierung leben können im Glauben als Geschöpfe Gottes“, sagte die Vorsitzende Marianne Brandt in ihrer Einführung.


Zwei Drittel machen Erfahrung mit Hass


Als Experten geladen waren Carl-Michael Mousavi Malvani, Lehrer und Mitglied der „AG Queere Vielfalt“ der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen, und Prof. Dr. Ansgar Wucherpfennig, Lehrstuhl für Exegese des Neuen Testaments an der Frankfurter Jesuitenhochschule St. Georgen und Seelsorger mit queeren Personen in der Frankfurter Stadtkirche. Mousavi Malvani unterstrich: „Es ist für alle und auch für die Kirche wichtig, sich mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt zu befassen, weil aktuelle Zahlen zeigen, dass es ein gesellschaftliches Thema ist.“ Laut der von ihm zitierten Studien fühlt sich mindestens eine von zehn Personen zum gleichen Geschlecht hingezogen. Aber 61% befürchten Probleme durch ein Coming-Out. Zwei Drittel der jungen Lesben und Schwulen machten Erfahrungen mit Beschimpfungen und physischer Gewalt, 50 Prozent würden versuchen, die Schwierigkeiten mit Alkohol und Drogen zu verkraften. Alarmierende 60 Prozent der Betroffenen hätten schon einmal an Suizid gedacht, und 18 Prozent hatten nach eigenen Angaben mindestens schon einen Suizidversuch hinter sich.


Sexualität ist immer einzigartig


Mousavi Malvani gab einen Überblick über die mitunter verwirrenden Begrifflichkeiten „Biologisches Geschlecht“ (Frau, Mann, intersexuell), „Gelebte Sexualität“ (heterosexuell, homosexuell, bisexuell, asexuell, pansexuell), „Psychisches Geschlecht“ (cis, transident, gender-queer, sowohl als auch, nicht binär), „Soziales Geschlecht“ (weiblich, männlich, transgender) und „Romantische Orientierung“ (heteroromantisch, homoromantisch, biromantisch, aromantisch, panromantisch). Mousavi Malvani beantwortete Rückfragen geduldig und erklärte: „Geschlechtsidentität setzt sich aus all diesen Aspekten unterschiedlich zusammen und ist bei jedem Menschen einzigartig.“

Einig waren er und Bibelwissenschaftler Prof. Dr. Ansgar Wucherpfennig sich darin, dass Aufklärung vor allem über Beziehungsarbeit geleistet werden kann. Wucherpfennig, Bibelwissenschaftler und seit 2014 zuständig für die queere Seelsorge in Frankfurt, gab eine Einführung in die biblische Grundlage. Dafür warf er zunächst einen Blick auf die griechischen Mythologie, in der es die Geschichte des Kugelmenschen gebe. „Kugeln wurden von Zeus im Zorn auf die Erde geworfen und zerbrachen. Dabei gab es Kugeln, die rein männlich waren, männlich-weiblich oder rein weiblich.“ Die Hälften der Kugeln strebten danach, sich wiederzufinden und zu vereinen. Die Idee dahinter ist, dass Sexualität aus dem Zorn Gottes heraus entsteht, als Strafe. „Da haben wir also eine Erklärung für homosexuelle Anziehung. Eine solche Erklärung gibt es in der Bibel und in der gesamten jüdisch-christlichen Tradition nicht. Das Fehlen einer solchen Erklärung hat unsere Tradition maßgeblich geprägt, und auch die Probleme damit“, so Wucherpfennig.


Morgenrot und Abenddämmerung


Die Bibel nutze eine polare Sprache, benenne meist zwei Enden eines Spektrums wie männlich und weiblich, Himmel und Erde, Anfang und Ende. „Damit ist aber ist nicht gemeint, dass das ganze Spektrum dabei nicht mitgenannt ist. Auch Wolken und Regen sind geschaffen, Morgenrot und Abenddämmerung“, so Wucherpfennig. Zwischen den Polen mache sich ein weites Spektrum auf. „Die Bibel hat durchaus ein Sensorium dafür, dass sowohl Gott als auch den Menschen weibliche und männliche Eigenschaften zugeschrieben werden. Man kann verschiedene Zuordnungsmuster finden und darin genau die Stärke, die es möglich macht, verschiedene Lebensmodelle des Mann- und Frauseins zu akzeptieren.“ Das werde von Paulus aufgegriffen im Galaterbrief. „Da werden die Grenzen nicht verwischt, in der Differenziertheit bilden die Menschen den einen Christus Jesus.“ Für ihn sei dies die entscheidende Entdeckung gewesen.

Wucherpfennig formulierte drei Handlungsempfehlungen, die für christliche Gemeinden, aber auch für andere Gruppen im Umgang mit queeren Menschen entscheidend sein sollten:  1. Den Menschen sehen und respektvoll wahrnehmen, statt sofort zu zensieren. 2. Niemals jemanden fremd-outen. 3. Nicht sprechen über sondern sprechen mit. In einer anschließenden Gruppenarbeitsphase diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Versammlung, wie mit konkreten Beispielen in der Gemeindearbeit umzugehen sei. Einigkeit herrschte darüber, dass Menschen so anzusprechen seien, wie sie angesprochen werden möchten. Beim Umgang mit Homophobie dürfe man nicht einfach so schweigen, stattdessen sei Zivilcourage gefragt.

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