Achim Knecht (65), evangelischer Stadtdekan für Frankfurt und Offenbach, geht diesen Sommer in den Ruhestand. Sein katholisches Gegenüber Johannes zu Eltz (ebenfalls 65) bleibt noch bis 2024 im Amt. Gemeinsam blicken beide – kurz vor dem Pfingstfest, das als „Geburtstag der Kirche“ gilt – zurück auf neun Jahre Zusammenarbeit.
Interview: Bettina Behler, Medieninformation Evangelische Kirche in Frankfurt und Offenbach und Anne Zegelman, Redakteurin der Katholischen Stadtkirche
Seit der Amtseinführung von Achim Knecht 2014 waren Sie Gegenüber, aber auch Partner. Wie sind Sie damals miteinander gestartet und wie haben Sie die Zusammenarbeit über neun Jahre erlebt?
Knecht: Es gab ja auf Stadtebene gemischte Erfahrungen, einerseits viele interessante Begegnungen, andererseits war es auch nicht immer ganz einfach zwischen der evangelischen Pröpstin Helga Trösken und dem katholischen Stadtdekan Raban Tilmann. Ich war gespannt auf das ökumenische Miteinander; aus meiner Gemeindezeit war mir das selbstverständlich. Auf diesem Hintergrund bin ich sehr dankbar, wie sich die dienstlichen – und die persönlichen Beziehungen – zwischen uns entwickelt haben. Vertrauen spielt eine große Rolle, in der Ökumene, aber auch in diesen Arbeitsbeziehungen. In diesen Jahren ist viel Vertrauen gewachsen.
Zu Eltz: Das Vertrauen ist gewachsen und stark. Das kann man nicht voraussetzen und verlangen, das entsteht aufgrund vieler gemeinsamer Erfahrungen und Erlebnisse. Mir ist das Ökumenische nicht an der Wiege gesungen worden. Meine Freude am ökumenischen Miteinander ist erstmals in Wiesbaden aufgeblüht – mit Dekan Martin Heinemann. Er musste sich in der Frühzeit meiner ökumenischen Laufbahn auf mich einlassen, als ich noch ziemlich kratzbürstig war. Am Ende waren wir Partner, entsprechend bin ich mit guten Erwartungen hierher gekommen. Dazu hat in den ersten vier Jahren sicher auch der Kontakt zu Gabriele Scherle geholfen, damals Pröpstin für Rhein-Main.
Und was uns beide betrifft: In den neun Jahren gab es nach meiner Erinnerung kein die Kirchen im Ganzen betreffendes Ereignis in Frankfurt, bei dem wir uns nicht hätten verständigen können.
Knecht: Die Arbeitsbeziehung zwischen unseren Kirchen und persönlich hatte eine gute Basis. Da können die eine oder andere Meinungsverschiedenheit oder unterschiedliche Einschätzung, auch Dinge, die mal nicht so gut laufen, gut integriert werden.
Zu Eltz: Was wir nicht gemacht haben, ist, einander das Wasser abzugraben und uns gegenseitig zu übervorteilen, etwa in den städtischen Bezügen. Das hängt mit einer gemeinsamen Überzeugung zusammen: Wir können in der Stadt, evangelisch ausgedrückt, nur „in versöhnter Verschiedenheit“ funktionieren, die man auch erkennen muss.
Knecht: Ich habe in dem Kontext für mich mal den Spruch geprägt, dass wir nur gemeinsam evangelische oder katholische Kirche sein können.
Zu Eltz: Der theologisch tief gegründete Höhepunkt war für mich die ökumenische Erklärung „Gemeinsam am Tisch des Herren“ vom September 2018 im Vorfeld des dritten Ökumenischen Kirchentags. Dieses bundesweite Bemühen um differenzierte Mahlgemeinschaft, wozu es in Frankfurt Entsprechungen gab, das passte sehr gut hierher und wirkt hoffentlich noch fort.
Knecht: Dazu will ich den protestantischen Kontrapunkt setzen (lacht). Für mich war es das gemeinsam begangene Reformationsjubiläum. „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ war sehr wichtig, aber „Gemeinsam auf der Kanzel des Herrn“, das bin ich aus protestantischer Sicht sehr bewusst angegangen. Ich fand es sehr bestärkend und erfreulich, dass wir gemeinsam die Rechtfertigung des Sünders, um es mal theologisch zu sagen, verkündet haben.
Bald gibt es einen neuen evangelischen Stadtdekan – in der Katholischen Stadtkirche fällt dieses Amt ab 2024 ganz weg, sie wird dann von einem Duo geführt. Welche Vorteile hatte es, von Stadtdekan zu Stadtdekan zu sprechen?
Zu Eltz: Das hat bei meinem Partner und Freund Achim Knecht Kopfschütteln ausgelöst, diese katholische Reform. Ich habe ihm so halb im Spaß gesagt, wenn wir Katholiken erst einmal losgelassen sind, um unsere Verhältnisse selbst zu bestimmen, dann gibt es kein Halten mehr. Ich sehe die Abschaffung des traditionsreichen Amtes skeptisch und habe öffentlich kein Hehl aus meinen Bedenken gemacht. Aber ich werde als Dompfarrer, der ich erst mal bleiben möchte, alles dafür tun, dass die gewählte Doppelspitze in ihrem neuen Amt auch in ökumenischer Hinsicht einen guten Start findet.
Knecht: Im Zuge unserer Strukturreform, die 2014 in das Stadtdekanat mündete, haben wir ja ein bisschen Maß genommen an der katholischen Kirche in dieser Stadt. Ich musste nun mit Verblüffung feststellen, dass das katholische Vorbild verlorengegangen ist.
Ich finde die gewählten Begriffe Stadtdekanat und Stadtdekan hilfreich, weil sie deutlich machen, dass wir nicht Kirche für uns, sondern Kirche für die Stadt sind, für die Welt, für die Gesellschaft.
Wir schätzen uns glücklich, dass wir in Frankfurt ein hohes Maß an vertrauensvoller Zusammenarbeit auch mit der Stadt haben. Beide Kirchen profitieren von der Stadt, angefangen von den Dotationskirchen bis hin zu dem Vertrauen, das wir mit Blick auf diakonische und karitative Arbeit genießen.
In den neun Jahren haben sie erleben müssen, dass die Mitgliederzahlen christlicher Kirchen auf 49 Prozent heruntergegangen sind, was heißt das, Minderheitenkirche zu sein?
Knecht: In den neun Jahren gab es die Lernerfahrung, dass man Ökumene weiterdenken muss. Die 49 Prozent Christen und Christinnen, das sind ja auch Orthodoxe und Alt-Katholiken, aber auch orientalische, charismatische, christliche Gemeinden mit Migrationshintergrund, die evangelischerseits ja eher selbstständig organisiert sind, katholischerseits sind sie als muttersprachliche Gemeinden in die Kirchenorganisation integriert. Es stellt sich die Frage, wie es gelingt, dass die besondere Beziehung zwischen evangelischer und katholischer Kirche gut in den größeren Rahmen der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen passt.
Zu Eltz: Wir wollen keinen Dialog der beiden großen Kirchen unter Ausschluss der kleineren. Aber manchmal ist es gut, sich schnell auf dieser Ebene zu verständigen. Zum Beispiel dort, wo wir unsere Ressourcen – immer noch erheblich, wenn auch schwindend – der gesamten Ökumene zur Verfügung stellen. Da treffen wir schnell Absprachen und versuchen, diskret, nicht in Gönner- und Geberhaltung, das Unsere beizutragen. Das Evangelium spricht übrigens nicht von Macht besitzenden Mehrheitskirchen. Wir sind gut beraten, als Kirche die unnützen Bocksprünge bleiben zu lassen.
Knecht: Ich plädiere für einen gelassenen Umgang mit der geringer gewordenen Basis beider Kirchen in dieser Stadt. Gelassenheit gibt mir auch eine Erfahrung am Anfang meines Berufslebens. Im Rahmen meiner Ausbildung arbeitete ich ein halbes Jahr bei den Waldensern in Palermo, einer evangelischen Minderheitenkirche mit nur 300 Mitgliedern unter einer Million Einwohner.
Im Verlauf meiner Amtszeit haben wir in der Stadt 20 Prozent unserer Mitglieder verloren, in den letzten beiden Jahren lag der Mitgliederverlust bei über vier Prozent, wir haben einen „Kipppunkt“ erreicht. Kirche ändert sich irreversibel. Das ist aber ein Prozess, – um jetzt meinen gewählten Nachfolger Holger Kamlah zu zitieren – „der uns nicht bange macht“. Weil es nicht darum geht, Kirche zu erhalten, sondern dem Evangelium zu dienen.
Zu Eltz: Die katholische Kirche wird durch ihre eigenen Fehler und Sünden darauf gestoßen, dass sie kein Selbstzweck ist. Klassisch katholisch ist es nicht, die Kirche so kritisch zu sehen und ihr nur eine relative Bedeutung beizumessen. Das hat sich aus bekannten Gründen in den letzten Jahren geändert – bei mir persönlich, hier in Frankfurt und anderswo, nicht zuletzt bei Bischöfen. Ich versuche, bei den vielen Kirchenaustritten Gelassenheit und Zuversicht zu üben. Trotzdem ist dieser dauernde Abfluss demotivierend und schmerzhaft. Mir hilft ein bisschen historisches Bewusstsein: Es gibt keine linearen Verläufe in der Geschichte. Deshalb glaube ich auch nicht, dass es ein unaufhaltsames Absinken des Evangeliums in modernen säkularen Gesellschaften geben wird. Die Zeiten ändern sich, auch in Zukunft. Was es nicht wieder geben wird, und auch nicht wieder geben soll, ist die Wiederherstellung vergangener Zustände.
Knecht: Das Verblüffende für die evangelische Kirche, und das gilt für die katholische Kirche meines Erachtens genauso, ist, dass wir eine enorm schwindende Mitgliederbasis haben, gleichwohl aber über unsere Arbeit eine hohe Präsenz in dieser Stadtgesellschaft haben, die auch wertgeschätzt wird. Wir stehen vor der Herausforderung und vor der Chance, mit Menschen, die säkular unterwegs sind, das Evangelium in der Stadt zu repräsentieren durch tatkräftige Arbeit. Mit diesen Menschen Dinge zu verwirklichen, die Jesus gewollt hat. Ich bedauere ein bisschen, dass ich das nicht mitgestalten kann, so sehr ich mich freue, in den Ruhestand zu gehen.
Zu Eltz: Es wäre fatal, würde sich die Caritas von der katholischen und die Diakonie von der evangelischen Kirche ablösen. Denn der soziale Aspekt bietet jenen einen Anknüpfungspunkt, für die eine glaubensgestützte Mitgliedschaft in der jeweiligen Kirche nicht infrage kommt. Das ist für mich „moderne Volkskirche“, die man auch gut finden kann, wenn man ihren Glauben nicht teilt.
In Ihre gemeinsame Zeit fiel der Ökumenische Kirchentag 2021. Was ist vom ÖKT geblieben?
Knecht: Der ÖKT konnte aufgrund der Pandemie-Situation keine tiefen emotionalen Spuren in den Gemeinden und bei den Menschen hinterlassen. Für mich war es im Nachgang noch stärker eine theologische Lernerfahrung. Für mich war die aus dem Papier „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ resultierende Eucharistiefeier im Dom sehr bewegend.
Zu Eltz: Die Bereitschaft, evangelische Christinnen und Christen an der Eucharistie teilnehmen zu lassen, ist mir dadurch noch selbstverständlicher geworden. Ich bin jetzt in einer neuen Freiheit, die ich vorher nicht gehabt habe und die mir vom ÖKT geblieben ist. Mir wird das Herz warm, wenn ich an die Vorabendmesse genau vor zwei Jahren im Dom denke, als Bischof Georg und die evangelische Kirchentagspräsidentin Bettina Limperg und Achim und Elisabeth Knecht gemeinsam zur Kommunion gegangen sind. Wie sich das ereignen konnte, das vergesse ich im Leben nicht.
Knecht: Durch den Ökumenischen Kirchentag ist es offizieller geworden, dass man als evangelischer Christ und Repräsentant der evangelischen Kirche am Tisch des Herrn im Dom oder auch sonstwo willkommen ist. Wohlwissend, dass das in vielen Frankfurter Kirchengemeinden seit Jahrzehnten Gang und Gäbe ist. Aber dass es jetzt gesehen werden darf, das finde ich einen echten Fortschritt.
Zu Eltz: Kann sein, dass die katholische Kirche da kulturell etwas evangelischer geworden ist. Unsere alte Praxis, Freiräume durch Weggucken entstehen zu lassen, überzeugt uns selbst nicht mehr. Da möchte ich Bischof Georg hervorheben mit seiner stracken Art, denn er sorgt dafür, dass diese helldunklen Zonen von Nicht-genau-wissen-Wollen ausgeleuchtet werden.
Welche Bedeutung hat der Synodale Weg für die Ökumene?
Zu Eltz: Gegner halten ihm entgegen, dass die Evangelischen alles, was die katholischen Reformer fordern, schon lange haben und dennoch ihre Mitglieder nicht halten können. Aber es geht nicht um Erfolg, sondern um Ehrlichkeit. Ich glaube, dass wir nur Kirche für das Volk sein können, wenn wir mit dem Reformkurs rasch weiterkommen.
Knecht: Auch wir stehen vor Reformen, Stichwort ekhn2030, und auch dabei geht es um die Anpassung von Kirche an veränderte Rahmenbedingungen. Viele glauben, man könne durch eine „bessere Kirche“, die bessere Arbeit macht, den Austrittstrend stoppen. Daran glaube ich nicht. Auch bisher wurde in vielen Kirchengemeinden gute Arbeit für die Menschen geleistet. Uns sollte es vor allem darum gehen, zu fragen, wie die Botschaft Jesu zeitgemäß verwirklicht werden kann.
Was bedeutet die Aufarbeitung des Themas Missbrauch durch die Katholische Kirche für die Ökumene?
Zu Eltz: Wir haben das verblüffende Phänomen, dass Leute aus der evangelischen Kirche austreten, weil es Missbrauch in der katholischen Kirche gibt. Auf diesen Nachweis unseres inneren Zusammenhangs könnten wir gut verzichten! Wir Katholiken sind vorneweg mit der beschämenden Beschuldigung unserer Missstände und mit gesellschaftlicher Wahrnehmung von Unordnung in unserer Kirche, aber seit 2010 auch mit den Bemühungen um institutionelle Aufarbeitung. Die Gründe für Missbrauch in der katholischen Kirche sind oft spezifisch katholisch. Trotzdem sollten andere Institutionen, die es mit Kindern und Schutzbefohlenen zu tun haben, nicht glauben, das gäbe es nur bei uns.
Knecht: Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Die katholische und evangelische Kirche betreiben, zum Beispiel mit Pax&People im Europaviertel, einen gemeinsamen Standort. Ist das ein Zukunftsmodell, vielleicht sogar interreligiös?
Knecht: Uns allen ist klar, dass eine zukünftige Präsenz im Stadtraum möglichst gemeinsam gedacht werden sollte. Natürlich steckt der Teufel im Detail, da geht es um Verwaltungsfragen, Abrechnung der Kosten und ähnliches. Das ist mühsam, aber machbar. Interreligiös ist ein solches Projekt noch schwerer umzusetzen. Wir haben eine sehr gute interreligiöse Zusammenarbeit in dieser Stadt, die muss sich nicht unbedingt in Gebäuden manifestieren.
Zu Eltz: So demonstrativ getrennt wie auf dem Riedberg darf es nicht nochmal werden. Allerdings schafft allein die Tatsache, dass beide Kirchen aus ähnlichen Gründen Gebäudebestand abbauen müssen, noch keine ökumenische Gemeinsamkeit. Dafür braucht es eine bewusste inhaltliche Gestaltung.
Welcher Bibelvers stand am Anfang Ihres Berufswegs und wie schauen Sie heute darauf?
Knecht: Ich denke an meinen Konfirmationsspruch, Psalm 32,8: „Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst; ich will dich mit meinen Augen leiten.“ Er hat mein Amtsverständnis geprägt: Das Vertrauen darauf, dass Gott unauffällig, aber wirksam auf meinen Lebensweg schaut und ihn in die richtige Richtung lenkt.
Zu Eltz: Bei der Suche nach einem stichwortgebenden Bibelzitat zum ÖKT habe ich mich stark gemacht für: „Gott aber…“. Es steht an vielen Stellen, z.B. Epheser 2,4. Leider hat der Vorschlag nicht die Mehrheit gewonnen. Für mich steht dieses Wort für die unerschöpfliche Kapazität an Überraschungen, die Gott für unsere verworrenen menschlichen Verhältnissen in petto hat.
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