Der Zeitpunkt, zu dem Juliane Schlaud-Wolf die Leitung des Religionspädagogischen Amts in Frankfurt übernommen hat, ist – vorsichtig gesagt – herausfordernd. „Jeden Tag rufen Schulleitungen bei mir an, setzen Hilferufe ab, weil sie zu wenig Religionslehrerinnen und –lehrer haben“, sagt die Theologin, die das Amt zum 1. Juni 2023 vom langjährigen Leiter Dr. Horst Quirmbach übernommen hat. Lehrkräfte fehlen überall – und das Fach Religion kämpft mit ganz eigenen Nachwuchsschwierigkeiten. „Der allgemeine Zustand der Kirche trägt sicher nicht dazu bei, mehr junge Menschen für den Beruf zu begeistern“, meint sie. Die meisten, die sich für ein Lehramtsstudium entscheiden oder nach einem Theologiestudium eine Ausbildung als kirchlicher Religionslehrer anschließen, täten das, weil sie selbst von ihren Religionslehrer:innen begeistert worden seien, das belegen Studien deutlich. Doch wo der Religionsunterricht fehlt, fehlt eben diese Prägung– ein Jetzt-Problem mit Auswirkungen auf die Zukunft. Immerhin: „Bei den Religionslehrerinnen und –lehrern in den Schulen erlebe ich eine hohe Energie!“
Raum für echte Fragen und Nöte
Juliane Schlaud-Wolf kennt beide Seiten, hat selbst nach ihrem Theologiestudium in Sankt Georgen und Tübingen zehn Jahre lang als Lehrerin und Seelsorgerin an Schulen gearbeitet, vor allem an Berufsschulen. Das Team, das sie nun in Frankfurt leitet – bestehend aus einer Studienleiterin und einem Studienleiter sowie zwei Verwaltungsprofis– hat selbst Erfahrungen an Schulen gesammelt. Für die 56-Jährige sind diese Erfahrungen wesentlich, um Schulen zu verstehen. So kennt sie zum Beispiel den Druck, unter dem Schulleitungen stehen, wenn es zu wenige Lehrkräfte und eine sehr heterogene Schülerschaft gibt. Und sie hat im Unterrichtsalltag erlebt, welch tragende Rolle Religionsunterricht spielen kann, wenn er den Raum für die echten Fragen und Nöte der jungen Menschen öffnet.
„Ich habe damals zum Beispiel junge Friseurinnen unterrichtet, die von den Themen berichtet haben, mit denen sie während des Haareschneidens konfrontiert sind“, erzählt Juliane Schlaud-Wolf. Kundinnen und Kunden, die beim Friseurbesuch von ihren Problemen und Sorgen erzählen, die mit Fragen kommen, zum Beispiel bei krebsbedingtem Haarverlust … „Friseurinnen und Friseure erfüllen oft eine ähnliche Funktion wie Seelsorger“, sagt die neue Leiterin, „Doch sie sind beim Berufseinstieg jung und darauf nicht vorbereitet.“ Dem Erlebten Raum zu bieten, zu beraten, wie solche Themen Raum bekommen können und von den Schülerinnen und Schülern verkraftet und bearbeitet werden können, das hat sich für Juliane Schlaud-Wolf während ihrer eigenen Zeit als Lehrerin als wirksame Art des Unterrichts herausgestellt.
Nachdem sie die Schule verließ, leitete die Mutter zweier Töchter mehr als zwölf Jahre lang das Amt für katholische Religionspädagogik im Taunus. Dort lernte sie die Verwaltungsseite des Religionsunterrichts kennen – und sammelte Erfahrungen, die ihr in ihrer neuen Aufgabe in Frankfurt eine solide Basis geben. Denn diese Aufgaben sind vielfältig: Das Amt für katholische Religionspädagogik (RPA) ist für die Sicherstellung von Religionsunterricht zuständig, sowie für die Aus- und Fortbildung von Religionslehrer:innen. „Uns wird nicht langweilig“, schmunzelt Juliane Schlaud-Wolf. Auch interreligiös arbeitet das Team: Immer wieder kommen auch evangelische und muslimische Lehrkräfte und auch Ausbildende mit ihren Studierenden und Lehrkräften in Vorbereitung ins RPA, zum Beispiel, um die täglich geöffnete Bibliothek mit Büchern und Lehrmaterialien zu nutzen und zu netzwerken.
Sie will aufs Feld
Genau das reizte sie an der Stelle: Das in vorderster Linie Stehen, das Kirche-in-den-Alltag-Bringen. Vier Jahre lang war sie zuvor Bischöfliche Beauftragte in Limburg und leitete das Ressort Kirchenentwicklung, das experimentierte, wie Neues in die Kirche kommt. Im Zuge der Neuaufstellung des Bistums wird aktuell großflächig umstrukturiert, die Ergebnisse der Kirchenentwicklung wurden mittlerweile ins neue Konzept überführt und die Abteilung geschlossen. Schlaud-Wolf zog es zurück zur Schule, denn dort trifft sie viele Themen wieder, die sie auch in der Kirchenentwicklung wesentlich beschäftigt haben. „Kirche gehört aufs Spielfeld der Gesellschaft, beispielsweise in den Wald, an Weihnachten auf die Autobahnraststätte, in die digitalen Kulturräume, auf Wochenmärkte, in Schulen und in die Arbeitswelt, an Orte, an denen sich Gesellschaft ereignet und gestaltet“, schrieb sie selbst im Abschiedsartikel der Abteilung. Raus aufs Feld will auch sie – und nicht nur um sich selber kreisen. „Religionsunterricht ist nicht dazu da, die Kirche zu retten!“, sagt sie bestimmt. „Sondern dafür, um einen Beitrag zur Entwicklung von Personen und der demokratischen Gesellschaft zu leisten.“ Und zwar nicht punktuell, sondern 40 Wochen zwei Stunden, bis zu 13 Schuljahre lang. Kirche braucht Religionspädagogik, davon ist Schlaud-Wolf überzeugt – denn sie leistet einen wichtigen Beitrag für den Weltzugang junger Menschen.
Fragen gibt es viele. In der Dauer-Krise von Krieg und Pandemie, in der die junge Generation erwachsen wird, sei es die Aufgabe des Unterrichts, Ängste und Unsicherheiten ins Wort zu bringen und anzuerkennen, dass das Leben zerbrechlich ist. Das Spezifische des Religionsunterrichts ist für sie das bewusste Lassen einer Lücke: Dass diese regelmäßigen Stunden der Beschäftigung mit Gott einen Raum öffnen, für das Unverfügbare, einen Bereich des Lebens, über den der Mensch nicht selbst bestimmen kann, den er zulassen darf und muss. Eine Atempause im Schulalltag, im Lebensalltag. Ein Loslassen.
Juliane Schlaud-Wolf sagt, dass sie am besten an Schnittstellen arbeite, in diesem Fall zwischen Kirche und Schule. Dass man dabei gelegentlich zwischen die Fronten gerät, beeindruckt sie nicht: „Ich bin vom Typ her unerschrocken.“ Man könnte sie auch als Hüterin des Religionsunterrichts bezeichnen, denn wenn akuter Lehrermangel herrscht, wird oft als erstes bei „Reli“ eingespart. Die neue Leiterin versucht nach Möglichkeit, bei Hilferufen aus einzelnen Schulen Lösungen zu entwickeln: „Studierende springen ein, oder ich frage in Pastoralteams nach, ob jemand unterrichten könnte.“ Einige Pfarreien reagieren reserviert, die Pastoral schlucke alle Ressourcen, „Ich würde mehr Seelsorgerinnen und Seelsorgern wünschen, dass sie im Religionsunterricht die Relevanz ihres Wirkens erleben und die Resonanzen, die die biblische Botschaft auslösen kann“, sagt Schlaud-Wolf.
Mit Blick auf Frankfurt stellt sie fest, dass Konfessionslosigkeit heute das neue Normal sei. Es gibt Schulen, in denen die Christen zusammen weniger als zehn Prozent der Schülerschaft ausmachen: „Wir als Kirche bestimmen nicht mehr das Feld, sondern legen unsere Ideen dazu.“ Damit Religionsunterricht auch langfristig stattfinden könne, müsse man aufhören mit einem engen Verständnis von Konfessionalität, das der Gefahr unterliege, eher eigenen Eitelkeiten oder Privilegien als Bedarfe der Gesellschaft zum Ausgangspunkt zu nehmen. Stattdessen: ein konfessionsgebundener kooperativer Religionsunterricht mit einladendem Charakter für die Perspektiven der anderen Religionen. „Hauptsache, Religion bleibt Thema, denn unsere demokratische Gesellschaft lebt von Werten, die sie selbst nicht herstellen kann!“
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