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Im Europaviertel: Kirche anders und freier


Harald Stuntebeck (links) und Pfarrer Matthias Weber im Aufenthaltsraum von „Pax&People“, der mit einer modernen Küche ausgestattet ist. Foto: Anne Zegelman

2017 ist das ökumenische „Pax&People“ gestartet. Mit einem innovativen Konzept und großer Offenheit für die Menschen im Frankfurter Europaviertel. Doch die Corona-Pandemie hat das noch junge Projekt zurückgeworfen. Wie geht es jetzt weiter?


Moderne Sessel stehen in der Sonne vor der Tür, die Glasscheibe dahinter ist mit großen weißen und bunten Buchstaben beklebt. Ein Sonnensegel dreht sich im Wind, „Pax&People“ ist darauf zu lesen. „Möchten Sie einen Kaffee?“, fragt Dr. Harald Stuntebeck als erstes, wenn jemand durch die Tür tritt. Denn einen Kaffee gemeinsam zu trinken, das wissen der katholische Pastoralreferent und sein evangelischer Kollege Pfarrer Matthias Weber, kann dazu führen, dass Menschen ins Reden kommen.

Wer nicht weiß, dass das hübsch gestaltete Ladencafé mitten im Europaviertel eine christliche Einrichtung ist, könnte es für einen gastronomischen Betrieb halten, so wie das Café direkt daneben. Doch in der Pariser Straße 6-8 gibt es mehr als Kaffee. Stuntebeck und Weber bieten moderne Seelsorge für einen jungen Stadtteil, in dem vorwiegend berufstätige Singles mit internationalem Hintergrund leben. Sie veranstalten Meditation, Gebet, Kunst, Krabbelkurse und fragen dabei nicht, welcher Religion die Teilnehmenden angehören. Es gibt Berührungspunkte zur klassischen Gemeindearbeit, und doch ist „Pax&People“ anders. Freier.


Blaupause für künftige Neubaugebiete


„Wir sind eine Art Labor“, sagt Stuntebeck, der das Projekt von 2011 an vorbereitet und aufgebaut hat. „Wir erproben hier im Europaviertel, was Kirche dem Menschen geben kann.“ 2017 wurde „Pax&People“ eröffnet, Träger sind das Bistum Limburg, die Katholische Stadtkirche und das Evangelische Stadtdekanat Frankfurt. Vorerst ist die Finanzierung bis Ende 2023 gesichert. Dem traditionell als Duo besetzten Seelsorgerteam kommt eine wichtige Aufgabe zu. Denn die Erkenntnisse aus dem Europaviertel könnten bei der kirchlichen Erschließung künftiger neuer Stadtteile helfen – und etablierten Pfarreien ebenfalls hilfreich sein, um sich für die Zukunft aufzustellen.

Klar ist: Neue Stadtteile unterscheiden sich von alten, gewachsenen Vierteln. Das zeigt sich, wenn man auf die Struktur schaut. Im Europaviertel, das seit etwa 2008 erschlossen wurde, leben heute mehr als 9500 Menschen. Das Durchschnittsalter liegt bei 33 Jahren (Gesamt-Frankfurt: 40,9); im östlichen Teil des Europaviertels leben mit 54 Prozent überdurchschnittlich viele Einwohner in Ein-Personen-Haushalten (Gesamt-Frankfurt: 52,6 Prozent).


Samstags im Supermarkt


Was brauchen diese Menschen – nicht nur von Kirche, sondern generell in ihrem Stadtteil? Das wollten Stuntebeck und seine damalige evangelischen Kollegin Katja Föhrenbach zum Start der Einrichtung 2017 in einer regelrechten Marktforschung herausfinden. Und zwar basierend auf der Haltung des tschechischen Religionsphilosophen Tomáš Halík, der sich in seinem Buch „Geduld mit Gott“ mit Gottespräsenz in der Stadt auseinandersetzt. „Er schreibt, Gott sei im Stadtteil schon gegenwärtig, man müsse ihn in den Menschen suchen“, fasst Stuntebeck zusammen. Und das tat das Team: „Wir haben Samstagmorgens einen Stand im Supermarkt aufgebaut und die Menschen gezielt gefragt, was sie sich von Kirche wünschen“, berichtet er. Die Antwort: ein Ort der Begegnung, der keine Kneipe ist.

Und genau das wurde „Pax&People“: Es gibt Treffen, Kunstausstellungen, Malkurse. Auch ein Krabbelkurs findet im Saal der benachbarten Dreifaltigkeitsgemeinde statt; anschließend trinken die Eltern bei „Pax&People“ einen Kaffee und tauschen sich aus. Auf 120 Quadratmetern gibt es einen ansprechend gestalteten Begegnungsraum mit viel Holz und petrolfarbenen Wänden, Tischen und einer modernen, chromglänzenden Kaffeemaschine, eine hübsche Küche zum gemeinsamen Kochen, Büros und den sogenannten „Lichtraum“, in dem einmal wöchentlich das Meditationsformat „Stille und Espresso“ stattfindet.


Sieht nicht aus wie Kirche


„Uns geht es darum, das kirchenferne Klientel anzusprechen, das sich hier angesiedelt hat, und in Kontakt zu kommen“, so Stuntebeck. Und sein Kollege Weber berichtet: „Menschen, die hier zum ersten Mal reinkommen, sagen oft: ,Das sieht hier gar nicht aus wie Kirche.‘“ Und zwar bewusst nicht – denn als man 2011 anfing, über eine Kirche im Europaviertel nachzudenken, sei schnell klar gewesen, dass es kein klassischer Kirchturm werden sollte, sondern ein niedrigschwelliges Angebot. Inhaltlich sei trotzdem jede Menge Kirche drin, sagt das ökumenische Duo. Und das sei auch gut so.

Das Konzept funktioniert: Viele kommen nur mal so, bleiben auf einen Kaffee und erzählen schließlich doch ihre Geschichte – von Kirchenaustritt, von persönlichen Leiden und Schicksalsschlägen. Andere kommen zu Aktionen wie dem Family-Cooking oder dem Internationalen Kochabend, die beide vor der Pandemie einmal im Monat stattfanden, und suchen am Rande oder danach das Gespräch mit den Seelsorgern. Einfach, weil es sich in dem Moment richtig anfühlt. „Die Leute suchen sich den Moment aus, in dem sie sprechen wollen, die Person und das Ambiente“, sagt Stuntebeck. „Daran ist nichts fern oder fremd, sondern mitten im Leben.“

Die Pandemie war für Begegnungszentren natürlich ein ganz besonders herber Rückschlag. „Pax&People“ konzentrierte sich in dieser Zeit darauf, Angebote mit sozialen Medien zu intensivieren. Dabei entstanden neue Wege, weiterzumachen. So wurde das beliebte „Stille&Espresso“ vorübergehend ganz ins Netz verlegt und erreichte so, statt wie in Präsenz meist eine Handvoll Leute, an einem Tag stolze 150 Menschen.

Der Koordinationskreis, eine Gruppe in „Pax&People“ engagierter Menschen, die das Programm maßgeblich prägen, hatte - noch vor dem Winterlockdown 2020 – die Idee, einen Kunstwettbewerb auszuschreiben. Als über 90 Werke eingereicht wurden und zahlreiche neue Kontakte zu Künstlerinnen und Künstlern geknüpft werden konnten, war man begeistert. Weil die Vernissage zum Wettbewerb „Blau Weiß“ Corona-bedingt nicht stattfinden konnte, digitalisierte das Team die gesamte Ausstellung. Auch jetzt ist sie noch auf der Webseite www.pax-und-people.de zu finden.


Wieder Anlauf nehmen


Doch Stuntebeck und Weber möchten nicht drum herum reden – die Pandemie hat „Pax&People“ deutlich zurückgeworfen. Denn in einem Stadtviertel, in dem die Fluktuation hoch ist, da viele Menschen, die dort wohnen, zum Arbeiten nach Frankfurt kommen und nach ein paar Jahren weiterziehen, tauscht sich die Bevölkerung in zwei Jahren zu einem großen Teil aus. „Wir müssen also fast von vorn anfangen“, so der Geschäftsführer.

Aufbauen können Harald Stuntebeck und Matthias Weber auf einer Menge Erfahrung der letzten Jahre. „Was wir in der bisherigen Arbeit gelernt haben, ist, dass aus kleinen Dingen manchmal große werden, das hat man nicht in der Hand“, so Stuntebeck. „Wie ein Samenkorn, das ausgesät wird und mal aufgeht, mal nicht. Da braucht es die Bereitschaft, das auszuhalten und sich darauf einzulassen.“ Die Bereitschaft eben, Gott im Menschen zu suchen. Immer wieder, immer weiter.


Der Text ist in der aktuellen Ausgabe des NETZ-Magazins des Bistums Limburg erschienen. Die gesamte Ausgabe ist hier zu finden.

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